Buch II, Dritter Teil, Kapitel 11

Die Geldsorgen der Rostows

Dostojewiski beginnt dieses Kapitel mit dem Satz “Die Geldverhältnisse der Rostows waren in den zwei Jahren, die sie auf dem Lande verlebt hatten, keineswegs besser geworden.” Dieser Satz fasst dann auch schon oberflächlich alles zusammen, was auf den nächsten Seiten passieren sollte, danach wiederholt der Autor sich nur noch. Das Familienoberhaupt (natürlich ein Mann) der Rostows, namentlich Graf Rostow, hat seine Familie durch Schicksal oder persönliches Unvermögen in die für seinen gesellschaftlichen Stand bemitleidens- sprich verachtenswerte Situation gebracht, nicht das nötige Einkommen für den einer gräflichen Familie angemessenen Lebensstandard erwirtschaften zu können. Für seine Töchter (mindestens 2, darunter eine mit 24 Jahren(!!!!) immer noch unverheiratete Wera) wurden einstmals 300 Seelen als Mitgift aus dem Vermögen der Rostows vorgesehen, wobei Seelen keine Fantasy Einheit ist, sondern euphemistisch für das Eigentum über diverse Menschen ländlicher Siedlungen steht. Die jeweils 300 Seelen sind nur leider längst verkauft und verpfändet und Bargeld ist eher was abstraktes ohne Sinn für ihn. Durch den wirtschaftlichen Verfall seiner (einst, wie man sagen könnte) angesehenen Familie sieht sich Graf Rostow in der unangenehmen Situation, gar einen Job “im Staatsdienst” in Petersburg anzunehmen.

In St. Petersburg ist das Leben jedoch so ganz anders als es sich im guten alten Moskau noch verhielt. Kenner russischer Geschichte wissen natürlich von den großen Umwürfen in der russischen Aristokratie, die der dem Adel aufgezwungene Umzug der Zarenschaft nach Petersburg mit sich brachte. Während die Rostows als Grafen (auch wenn man ihnen diesen Stand nicht mehr ganz abzukaufen mag) in Moskau noch in den allerhöchsten Kreisen verkehrten und diese häufig zu ihren Gästen zählen durften, wird die Rostow’sche Gastfreundschaft in der Hauptstadt des neuen Russlands sogar vom “Sohn eines Postmeisters vom Land” in Anspruch genommen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das auch ein Euphemismus für niedrigen Landadel ist, der mit über den Kopf geht, oder der junge Mann nichtmal dieses von sich behaupten kann. Ansonsten trifft man sich aber auch mit Nachbarn (cringe, ich weiß), einer Hofdame (also ohne eigenes Einkommen, sprich ohne einen Mann mit eigenem Einkommen, cringe), wenig bemittelte Gutsbesitzer (ich hoffe es sind wenigstens Güter und nicht nur eines, cringe) und ihre Töchter (die wohl woanders nicht wilkommen sind, giga-cringe), Fräulein Peronskaja (wurde wahrscheinlich in vorigen Kapiteln intensiv erklärt wie cringe das ist, dadurch dass sie ohne männliche Begleitung genannt wird befürchte ich eine über 30-jährige unverheiratete Frau, maximaler cringe), Pierre Besuchow (lubold berichtete kurz er sei ein schlimmer Finger, also definitiv kein Gentleman und daher cringe) und der “soziopathischen Blender Boris” (von Lubold und blutgarten ausführlich zum ernsthaft cringigen Charakter erklärt). Wie ich eingangs schon sagte wäre dieser blamable Umgang mit Leuten des allenfalls niederen Adels bei besserer finanzieller Lage der Rostows niemals eingetreten.

Doch auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn, und so finden die Rostows im Haufen menschlichen Abfalls den “gewissenhaften, tüchtigen Offizier” Berg wieder, der um Comtesse Wera Rosmanowas Hand anhält. Er ist nicht von namhaften Adel, nur “Sohn eines (zu allem Überfluss auch noch) unbekannten livländischen Edelmanns”, kann sich nicht mehr als einer “gesicherten Stellung in der Gesellschaft erfreuen”, aber wird immerhin als “sittlich gefestigter junger Mann” beschrieben, was man ja nicht von allen jungen Männern bisher behaupten kann (hust Boris hust). Er hat zudem diverse Auszeichnungen und andere Ehrentitel dadurch erhalten, nicht müde werdend über seine Errungenschaften in der Schlacht Austerlitz und dem finnischen Krieg zu berichten. Understatement sieht natürlich anders aus, aber viel mehr kann man auch nicht von jemandem erwarten, der vier Jahre vorher einem Kumpel im Parkett eines Moskauer Theaters (im Parkett Leute, ich weiß nichtmal wo das ist, irgendwo zwischen den Klos und der zugigen Eingangstür?) auf Wera deutend einem Kumpel “Die fick ich auch noch” gesagt haben soll. Ernsthaft wird Berg aber als sehr korrekter Typ dargestellt, der Wera offenbar gern hat (“liebt” natürlich, das 19. Jahrhundert ist sehr dramatisch) und keine eigennützigen Hintergedanken hegt. Nur ihre (leider namentlich nicht erwähnte) Schwester disst er ordentlich als “mit einem Wort: unangenehm”, und allein diese vorsichtige Ausdrucksweise macht ihn schon sympathisch.

Als wäre die Schmach einer nicht standesgemäßen Verlobung nicht genug kommt auf den alten Graf Romanow eine noch größere und, wie sollte es anders sein, finanzielle Belastung zu. Die doofe Mitgift natürlich, für die die verpfändeten Seelen hätten gut sein sollen. Eines Tages kommt der gute Berg, seines Zeichens Schwiegersohn in spe, auf den alten Grafen mit der Frage zu, wie die Mitgift denn aussehen würde - wenige Tage vor der Hochzeit und nur in Sorge darum, Wera einen angemessenen Lebensstandard bieten zu können, insofern in meinen Augen nach wie vor der good guy, der eher Opfer der Wertevorstellungen seiner Zeit ist.

Der Graf probiert ihn um den Finge zu wickeln mit einem “Das gefällt mir, daß du dich auch darum kümmerst, das gefällt mir, du wirst schon zufrieden sein” :fresse: Berg ist aber nicht völlig bemiggelt und sagt er würde sie nicht heiraten können wenn er nicht wisse, sie anständig versorgen zu können, wo die Mitgift relevant sei. Am Ende einigen sie sich auf 20k Rubel in bar (meinen kurzen Recherchen ergibt das irgendwas zwischen 200k und 5M €) und nochmal 80k Rubel als Wechsel, ich denke das ist eine Art ungedeckter Kreditkarten-Scam.