Buch II, Fünfter Teil, Kapitel 3

Der Tag des Nikolaus

Wir schreiben das Jahr 1810 zum Nikolaustag, also den Namenstag des Fürsten Nikolaj Andrejewitsch. Obwohl dieser der Prinzessin Marja die Anweisung gegeben hat zu diesem besonderen Anlass nur eine kleine Liste an eingeladenen Gästen ins Haus zu lassen, lädt sich sein Hausarzt, ein Franzose namens Métivier, wie selbstverständlich selbst zum Gratulieren ein. Leider befand sich der Fürst an diesem Tage in allerschlechtester Laune. Als der Arzt sich also von der Prinzessin in den Salon zum Fürsten geleiten lässt, wird er unverhofft zum Opfer eines Wutausbruchs. Den zornigen Äußerungen des Fürsten ist gerade noch so zu entnehmen, dass dieser seinen Arzt neuerdings für einen französischen Spion hält, bevor er ihm befielt sein Zuhause zu verlassen und die Salontür vor ihm zuknallt. Métivier, etwas ratlos aber scheinbar nicht zu sehr besorgt von dieser Affäre, sagte noch, dass der Fürst sich wohl nicht ganz wohl fühle bevor er versichterte am morgigen Tage wiederzukommen.

Als der Arzt das Haus verlassen hatte, rief der Fürst seine Tochter zu sich und entlud seinen Zorn über sie. Es sei ihre Schuld, dass sie diesen Spion ins Haus gelassen habe, obwohl er es ihr doch ausdrücklich verboten habe. Er lässt verlauten, dass es so nicht weiter gehen könne, dass man sich trennen müsse und sie sich einen anderen Aufenthaltsort suchen solle. Er versichert ihr, dass dies kein neuer Gedanke sei, den er in seinem Zorne nur so dahin sagt, nein, er habe sich das schon länger überlegt und es müsse jetzt unbedingt so kommen. “Wenn Sie doch nur irgendein Esel heiraten wollte” schrie er ihr noch zu, bevor er auch ihr seine Tür vor den Kopf stoß.

Etwas später um zwei Uhr nachmittags versammeln sich die auserlesenen Gäste zum Diner. Gekommen sind: der bekannte Graf Rastoptschin, Fürst Lopuchin mit seinem Neffen, General Tschatrow, ein alter Kriegskamerad des Fürsten, und von jüngeren Leuten Pierre und Boris Drubezkoj. Das Haus des Fürsten gehörte zwar nicht gerade zur “großen Welt”, aber da er für gewöhnlich nur einen so kleinen Kreis zu sich einlädt, war es desto schmeichelhafter dort empfangen zu werden. Boris hatte also schon länger den eifrigen Wunsch dem Fürsten Nikolaj Andrejewitsch vorgestellt zu werden und hatte es verstanden sich die Sympathie des Fürsten in so einem hohen Grade zu erwerben, dass dieser für ihn eine Ausnahme machte.

Es wurde sich über Napoleon unterhalten, darüber, dass dieser sich scheinbar gegen den Papst auflehne und die Ländereien des Herzogs von Oldenburg annektiert hat. Daraufhin bemerkte Boris, offenbar um Eindruck zu machen auf Französisch, dass der Herzog von Oldenburg sein Unglück mit bewunderswertem Charakter ertrage, woraufhin der Fürst beinahe etwas entgegnet hätte, sich dann aber doch im Angesicht des geringen Alters seines Gegenübers dagegen entschied. Im Folgenden wird sich noch über den neuen französischen Gesandten am Kaisershof ausgetauscht, der sich wohl abschätzig über die Grenadiere eines Parademarsches geäußert habe und dem der Kaiser daraufhin keines Wortes weiter gewürdigt habe. Immer wenn im Verlaufe des Gesprächs der Kaiser erwähnt wurde, fiel es im Übrigen auf, dass der Erzähler kurz innehielt und sein Urteil über dessen Person zurückhielt.

Im Laufe des Abends wurde der Fürst dann immer lebhafter. Er schilderte, dass die Kriege gegen die Franzosen so lange unglücklich verlaufen würden, wie die Russen mit den Deutschen Bündnisse suchten und sich in europäische Affären einmischten. Man solle sich aus österreichischen Angelegenheiten heraushalten, sich in seiner Politik auf den Osten beschränken und eine bewaffnete Grenzmacht aufstellen, um gegen Bonaparte gewappnet zu sein. Graf Rastoptschin entgegnete daraufhin, dass er es für unmöglich hielt überhaupt gegen die Franzosen zu kämpfen, schließlich seien diese ihre Lehrmeister und Götter und das Himmelreich der russischen Jugend sei Paris. “Wenn man so unsere Jugend ansieht, da möchte man am liebsten den alten Stock Peters des Großen aus der Kunstkammer hervorholen und ihnen einmal auf russisch den Buckel vollhauen, damit der ganze Unfug herausspränge!” Der Fürst sah Rastoptschin daraufhin lächelnd an und nickte bestätigend, bevor man sich aus dem Saale begab und sich die Gesellschaft unter Bekundung der gegenseitigen Hochachtung auflöste.