Buch III, Erster Teil, Kapitel 13

Eine reizende Doktorenfrau

In der Schenke befanden sich schon etwa fünf Offiziere. Marja Genrichowna, eine volle blonde Deutsche, saß in Jacke und Nachthaube auf einer breiten Bank, hinter ihr lag schlafend ihr Mann, ein Arzt. Rostow und Iljin traten vom Regen durchnässt ins Zimmer und wurden von Zurufen und Gelächter empfangen. Sie suchten sich eilig eine Ecke in der sie mithilfe Lawrentins ihre Kleider wechseln konnten, ohne Marja Genrichownas Schamgefühl zu verletzen. Es wurde ein Feuer gemacht, mit einem Brett und einer Pferdedecke eine Sitzecke improvisiert und ein Samowar aufgesetzt. Marja Genrichowna wurde gebeten die Wirtin zu spielen, und alle drängten sich um sie. Einer bot ihr ein frisches Taschentuch an, damit sie ihre reizenden Händchen darin trocknen konnte, ein anderer breitete ihr seinen Dolman unter den Füßchen aus um sie vor der Feuchtigkeit zu schützen, ein dritter hängte seinen Mantel über das Fenster, damit es nicht ziehe und wieder ein anderer verscheuchte die Fliegen vom Gesicht ihres Mannes, damit er nicht aufwache.

Man hatte nur drei Gläser, das Wasser war so schmutzig, dass sich nicht erkennen ließ, ob der Tee stark oder schwach war. Der Samowar fasste überdies nur Wasser für sechs Gläser, aber um so angenehmer war es der Gesellschaft reihum dem Rang nach sein Glas aus Marja Genrichownas molligen Händchen entgegenzunehmen. Löffel gab es nur einen einzigen und keiner ließ dem anderen genügend Zeit seinen Tee umzurühren, weshalb beschlossen wurde, dass Marja Genrichowna der Reihe nach jedem den Zucker umrühren sollte. Als Rostow einen Schuss Rum in sein Glas gab und sie bat für ihn umzurühren, schlug er ihr vor dafür einfach ihre Finger zu benutzen, da der Löffel schon wieder stibitzt wurde. Als sie vor Vergnügen ganz errötet erwiderte, dass der Tee dafür viel zu heiß sei, nahm Iljin einen Eimer mit Wasser, goß etwas Rum hinein und bat Marja Genrichowna ihm dies mit ihrem Fingerchen umzurühren. “Das ist meine Tasse”, sagte er. “Stecken Sie nur ihr Fingerchen hinein, dann trinke ich alles, alles aus.”

Als sie den Samowar ausgetrunken hatten, holte Rostow die Karten hervor und schlug vor, dass der Gewinner als Belohnung Marja Genrichownas Hand küssen dürfe. Doch kaum hatte ihr Spiel begonnen, da erhob sich der zerzauste Kopf des Ehemanns. Er hatte schon lange nicht mehr geschlafen, die Unterhaltung mitangehört und fand offenbar all das, was gesagt und getan wurde, durchaus nicht so komisch und ergötzlich. Er sagte seiner Frau, jetzt da der Regen aufgehört habe, müsse man draußen im Reisewagen schlafen, da sonst alles weggestohlen werde. Als Rostow eine Wache aufstellen wollte, damit er und seine Frau in der Schenke bleiben könnten, schlug der Doktor dieses Angebot aus. Er habe seit zwei Nächten kein Auge zugetan und wolle jetzt in Ruhe ausschlafen. Als der grießgrämige Ehemann mit seiner Frau hinausgegangen war, legten sich die Offiziere hin und deckten sich mit ihren nassen Mänteln zu. Aber sie konnten lange nicht einschlafen: bald schwatzten sie miteinander, bald liefen sie vor die Tür, um zu erkunden was im Reisewagen vor sich ging und immerwieder brachen alle wie die Kinder ohne jeden Grund in Gelächter aus.